Pressemitteilung des Botanischen Vereins

Für eine umfangreiche Wohnbebauung sollen ca. 9 ha Wald im nördlichen Wilhelmsburg gerodet werden – der einzige wilde Wald im Bezirk Mitte.

Der Botanische Verein hat am Montag (4.9.2023) gemeinsam mit der AG Naturschutz eine umfangreiche Stellungnahme für den Erhalt des einzigartigen Waldes abgegeben. Sie umfasst Aspekte vom Artenschutz bis zum Klimaschutz.

Als Botanischer Verein ist es uns besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass der Wald spontan aufgewachsen ist. Dadurch ist hohe genetische Vielfalt gegeben – jeder Baum ist einzigartig, weil er nicht aus Baumschulzucht kommt. Die genetische Vielfalt ist Voraussetzung für eine Anpassungsfähigkeit an Klimaextreme wie Sturm und Trockenheit. Weiterhin sind die gesunden Eschen im Wilden Wald wichtig. Sie sind aufgrund ihrer genetischen Vielfalt widerstandsfähiger gegen das Eschentriebsterben.

In Wilhelmsburg laufen zurzeit viele Planungen, die alle auf Naturverlust hinauslaufen. Mittlerweile müssen wir uns schon um die Arten Sorgen machen, die eigentlich häufig sein sollten. Denn sie sind es nicht mehr, weil ihre Lebensräume zerschnittenen und zerstört werden. Umso wichtiger ist es, noch vorhandene zusammenhängende Lebensräume wie den Wilden Wald zu erhalten.

Der Wilde Wald ist seit 1962 in natürlicher Sukzession entstanden, verschiedene Sukzessionsphasen sind erkennbar. Der Wilde Wald ist Wildnis in der Stadt – die für Pflanzen, Tiere und auch uns Menschen lebensnotwendig ist. Hans-Helmut Poppendieck schrieb in dem Buch Baumland eine Passage über den Vollhöfner Wald, die genau so auch für den Wilden Wald in Wilhelmsburg steht:

Dieser Wald zeigt uns, dass biologische Vielfalt, dass Eigenart und Schönheit keine Leistungen sind, die in Auftrag gegeben oder eingefordert werden können, sondern Geschenke, die uns unverdientermaßen in den Schoß gefallen sind.

Wir können sie bewahren oder verspielen. Wir haben die Wahl.“

Der Botanische Verein fordert, den Wilden Wald in Wilhelmsburg unangetastet zu lassen. Wir brauchen ihn.

Der Vorstand des Botanischen Vereins zu Hamburg

 

Der Botanische Verein hat am 4.9.23 mit der AG Naturschutz Hamburg eine Stellungnahme für den Erhalt des Wilden Waldes in Wilhelmsburg abgegeben und dazu auch eine Pressemitteilung herausgegeben. Aber viele Gedanken lassen sich nicht einfach in das Format eine Pressemitteilung oder Stellungnahme im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange pressen, daher hier:
Gedanken zum Spreehafen-Wald- verschiedene Menschen, die sich im Botanischen Verein engagieren haben sich mit der geplanten Zerstörung des Wilden Waldes – Spreehafenwald im Bebauungsplan Wilhelmburg 102 beschäftigt. Das sagen sie dazu:

Der Vorstand des Botanischen Vereins:

Der Wilde Wald am Spreehafen – Ein Wald ohne Wert? So oder so ähnlich lassen sich die diversen arten- und biotopschutzrechtlichen Gutachten über den Pionierwald im Nordwesten der Elbinsel Wilhelmsburg zusammenfassen. In diesem Zusammenhang – und das soll der Kerninhalt dieser Stellungnahme sein – möchten wir auf den Begriff des Naturwerts eingehen.

Kurz zum Hintergrund, was hier überhaupt bewertet wurde bzw. wie Natur bewertet wird: Die Grundlagen bilden die Maßstäbe der Eingriffsregelung, des Arten- und des Biotopschutzes, sowie ferner in Hamburg die Biotopbewertung bzw. davon abstrahiert und ergänzt um Boden- und Landschaftsschutz die Bilanzierung nach Hamburger Staatsrätemodell, ggf. auch nach Landeswaldgesetz. Grundsätzlich muss schon festgehalten werden, dass es gut ist, so viele unterschiedliche Ebenen zu haben, auf denen sich mit dem Wert von Naturhaushalt beschäftigt wird – auch wenn die Übersichtlichkeit ab einem gewissen Punkt nicht mehr unbedingt gegeben ist. Die meisten dieser Bewertungsebenen laufen an gewissen Nadelöhren zusammen, quasi Eckpfeiler dessen, woran sich wertvolle Ausprägungen von wertarmen Ausprägungen unterschiedlicher Lebensräume unterscheiden. Dies sind v.a. die gesetzlich geschützten Arten (i.d.R. faunistisch) und Arten der Roten Listen.

Das ist etwas komplex und um die Ecke gedacht und soll daher etwas erläutert werden: Die meisten dieser Bewertungsschemata stufen die Werthöhe – nachdem der Lebensraum festgestellt wurde – auf Basis des Vorkommens ‚lebensraumtypischer, wertgebender und wertbestimmender Arten‘ ein. Das gilt sowohl bei Einstufungen im Rahmen der Bestimmung des Biotoptyps, bei denen der FFH-Lebensraumtypen, bei der Entscheidung, ob ein gesetzlich geschütztes Biotop vorliegt und auch bei der Bilanzierung nach Staatsrätemodell. Das ist auch zunächst sehr nachvollziehbar und eine praktikable Möglichkeit, solche Bewertungen auf rein ökologischer Ebene durchzuführen – stößt aber v.a. im dicht besiedelten Raum mittlerweile an seine Grenzen.

Auch dieser Gedanke soll einmal erläutert werden. Umso fragmentierter städtische Lebensräume werden, desto weniger lebensraumtypische, wertgebende oder wertbestimmende Arten tauchen dort auf, da sie schon von vorangegangenen Bebauungsverfahren aus dem städtischen Raum vertrieben wurden. Etwas weniger abstrakt ausgedrückt: Ein Wald, der eine waldtypische Krautvegetation kaum vorweisen kann, weil es in einem einwanderungsrelevanten Umkreis diese Arten schlichtweg nicht mehr gibt und der eigentlich nur aufgrund der Baumarten überhaupt als Wald ansprechbar ist, wird nach diesen Bewertungskriterien recht niedrig eingeordnet – und zwar ungeachtet dessen, ob es im betrachteten städtischen Raum noch bessere Ausprägungen gibt. Der Wald wird also niedrig bewertet, obwohl er die beste (wenn nicht gar einzige) Form von Wald darstellt, die es in der Umgebung überhaupt noch gibt.

Was es also bräuchte, wäre eine skalierte Betrachtung, die ganz im Sinne der Idee des Biotopverbunds steht: Wenn in einem Stadtraum das Niveau von standörtlicher Differenziertheit und Arten-Diversität insgesamt abnimmt, ist die Bewertung dessen, was noch übrig ist oder sich in Nutzungslücken angesiedelt hat, entsprechend hochzusetzen. Andernfalls würde eine selbstbeschleunigende Entwertungsspirale einsetzen: Je kaputter eine Gegend, desto leichter ließe sich – aufgrund vermeintlicher Wertlosigkeit – auch noch der letzte Rest von Natur beseitigen.

Der Wilde Wald, der in seinem Umfeld seinesgleichen sucht, hat in einer fragmentierten Stadtlandschaft als Rückzugsort und Lebensraum von zumindest noch stabilen Populationen der häufigen bis mittelhäufigen Arten (was keinesfalls mehr der Normalfall ist!) eine bedeutende Funktion. In dem versiegelten Grauen, das die IBA schon jetzt aus Wilhelmsburg gemacht hat, dient er aber auch als regional wichtiger Trittstein für wanderfähige Arten. Beides gilt zukünftig um so mehr angesichts der zahlreichen weiteren Bebauungsverfahren, die derzeit in Wilhelmsburg betrieben werden.
Der Wilde Wald muss erhalten bleiben.

Hans-Helmut Poppendieck: In Hamburg gib es kein Konzept zur Erhaltung der spontanen Stadtnatur

Der Naturschutz in Ballungsräumen wie Hamburg ist nach wie vor einseitig orientiert. Zum einen auf die Erhaltung der ursprünglichen, unverfälschten Natur („Natur der Ersten Art“, beispielsweise Hochmoore); zum anderen auf die Erhaltung heimischer Arten in gemanagten Habitaten der traditionellen Kulturlandschaft („Natur der Zweiten Art“, beispielsweise Heiden oder Wiesen). Aber gerade die stadtspezifischen urban-industriellen Ökosysteme wie beispielsweise wilde urbane Wälder werden mit diesem Vorgehen nicht erfasst. Hier ist weiterer, dritter Weg erforderlich. Er besteht darin zu akzeptieren, dass durch natürlich ablaufende Prozesse ein neuer Typ von post-industriellen Ökosystemen entsteht. Diese „Natur der Vierten Art“ als „neue Wildnis“ steht in starkem Gegensatz zum traditionellen Konzept der „alten“ Wildnis, bei der es sich um Relikte der ursprünglichen Ökosysteme handelt.
Das Problem in Hamburg besteht darin, dass die Umweltbehörde aber auch die Umweltverbände es versäumt haben, Konzepte zum Umgang mit und zur Erhaltung von der „Natur der Vierten Art“ zu entwickeln.
• In der Biotopkartierung wurden stadttypische Habitate lange Zeit nur unzureichend erfasst.
• In Biodiversitätskonzepten wie FABIO oder in den Biotopverbund wird die Natur der Vierten Art nicht mit einbezogen.
• Natur der Vierten Art ist auch nicht Teil von Großprojekten wie „Natürlich Hamburg“

Die Folge ist, dass innerstädtische Habitate nicht an ihrer Bedeutung für ihr spezifisches städtisches Umfeld gemessen werden, sondern dass vielmehr nach Schema F Kriterien angelegt werden, die für andere „Naturen“ der intakten, agrarisch geprägten Kulturlandschaft entwickelt wurden, also beispielsweise die Anzahl der Rote-Liste-Arten oder die sogenannte Naturnähe. Daran gemessen muss die eigentliche Stadtnatur notgedrungen den Kürzeren ziehen.
Die Anlegung der herkömmlichen Bewertungsmaßstäbe erklärt die Argumentationsschwierigkeiten, in die Umweltbehörde und Verbände in Fällen wie dem Vollhöfner Wald, Altenwerder, der Bullerrinne, dem Spreehafenwald (=Wilder Wald) oder dem Diekmoor geraten.

Der Wert der spontanen Stadtnatur

Der Wert der Natur der Vierten Art liegt:
• Im Beitrag zur Artenvielfalt der Stadt. Diese wird in nicht unbeträchtlichem Maße durch Ruderalarten geprägt. Das wird in der Regel nicht wahrgenommen.
Deswegen mein Appell an die Loki-Stiftung: Noch nie war eine Art der städtischen Ruderalflächen Blume des Jahres, es waren überwiegend esoterische und seltene Arten, die der Normalmensch kaum außerhalb von Schutzgebieten zu sehen bekommt. Wie wäre es, die Nachtkerze Oenothera biennis zur Blume des Jahres zu wählen, um so auf die Bedeutung der in starkem Rückgang begriffenen Ruderalflächen für die Artenvielfalt hinzuweisen.
• Im Prozess-Schutz. In einer zu nahezu 100% gemanagten und durch stabilisierende Pflege erstarrten oder durch private Initiative begärtnerten Natur sind Spontanflächen der Natur der Vierten Art die einzigen Flächen, in denen spontan ablaufende Vegetationsprozesse überhaupt noch beobachtet und erforscht werden können. Also etwa spontane Ausbreitung, Sukzession, Naturverjüngung, Auslese durch den Standort.
Genau dies war es, was der Ehrenbürgerin Hamburgs und Namengeberein der Hamburger Naturschutzstiftung Loki Schmidt so am Herzen lag. Was hindert die Umweltbehörde oder auch die Loki-Stiftung daran, dieses Gedankengut von Loki Schmidt aufzugreifen und in ihrer Arbeit für den Naturschutz in Hamburg zu verwirklichen?

Spontane Stadtwälder in Zeiten des Klimawandels

Voraussagen sind immer schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Das gilt insbesondere für den Klimawandel.
Mindestens 90% des gesamten Baumbestandes in Hamburg ist gepflanzt, und das heißt:
• All diese Bäume wurden mit einer Klimaprognose gepflanzt, noch bis vor 20 Jahren überwiegend mit der Prognose des gleichbleibenden Klimas. Die Grenzen dieser Prognose werden aktuell deutlich. Wenn heute auf „klima(wandel)tolerante“ Bäume gesetzt wird, ist auch dies eine Prognose, aber es ist nicht klar, auf welchen Zeitraum und welche Form und Geschwindigkeit von Klimawandel sie sich bezieht. Bei allem hohen fachlichen Respekt für Expertise, die der Klimabaumliste der Deutschen Gartenamtsleiter-Konferenz zugrunde liegt: Letztlich bleibt völlig unklar, welche Eigenschaften diese Bäume haben müssten. Denn es ist aktuell unmöglich vorherzusagen, welche Klimabedingungen in wenigen Jahrzehnten vorherrschen werden – und noch unmöglicher, was diese klimatischen Verhältnisse für Organismen bedeuten.
• All diese gepflanzten Bäume wurden mehrfach in ihrem Leben dem Standort, in dem sie sich gerade eben bewurzelt hatten, entrissen. Dieses Schicksal hat aber der liebe Gott für keinen Baum seiner Schöpfung vorgesehen. Er hat vielmehr vorgesehen: Baum, du sollst dort wachsen und alt werden, wo dein Samen auf die Erde fällt und auskeimt. Natürlich muss man für Obstbäume, Chausseegehölze und viele andere Zweckbäume eine Ausnahmen machen. Aber wenn es um intakte und in Zeiten des Klimawandels resiliente Baumpopulationen gehen soll, sieht die Sache ganz anderes aus. In diesen Überlegungen müssen selbst ausgesäte und am Standort groß gewordene Bäume erste Priorität haben.
Nebenbei: Lebensfähige Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten zu erhalten – fordert §1 des Bundesnaturschutzgesetzes. Gepflanzte Alle- oder Parkbäume, deren Verjüngung nach Möglichkeit unterbunden werden soll, sind keine lebensfähigen Populationen.

In allen forstlichen Lehrbüchern, Handreichungen und Internetseiten wird der Naturverjüngung von Naturverjüngung von Wald- und Baumbeständen die höchste Priorität zugewiesen.
Wir werden dringend Erfahrungen dazu brauchen, wie sich natürlich aufgewachsene Bäume am Ort in Zeiten des Klimawandels verhalten. Solche Erkenntnisse können uns für das städtische Umfeld nur Spontanwälder wie der Vollhöfner oder der Wilde Wald bieten. Baumschul-Kunstprodukte in ihren Pflanzgruben können uns solche Erkenntnisse nicht liefern, und gepflanzte Wälder auch nicht. Solche Wälder werden im Dänischen übrigens als Plantagen bezeichnet. Man sollte auch nicht unbedingt immer auf die „Fachleute“ in den Baumschulen hören, denn die wollen ja vor allem Bäume verkaufen. Wenn ich in der Süddeutschen Zeitung vom 26. August lese „Die Birke hat keine Zukunft mehr“, lese ich fast gleichzeitig auf waldwissen.net, dass Pionierbaumarten wie Birke oder Pappel wichtige Helfer im Waldbau werden, weil sie mit geringen Ansprüchen und guter Erschließung des Bodens punkten. Und ich denke an die Birke an der Bergstedter Kirche, die weit mehr als 100 Jahre als Mauerpflanze (extrem trockener Standort!) überlebt hat, bis sie in den 1950er Jahren überflüssigerweise entfernt wurde.

Der §1 des Bundesnaturschutzgesetzes verpflichtet übrigens schon heute, u.a. innerstädtische Spontanwälder zu erhalten, denn: „wild lebende Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften sowie ihre Biotope und Lebensstätten auch im Hinblick auf ihre jeweiligen Funktionen im Naturhaushalt (…) [sind] zu erhalten” und noch passender: “Freiräume im besiedelten und siedlungsnahen Bereich einschließlich ihrer Bestandteile, wie (…) Wälder, Waldränder und andere Gehölzstrukturen (…), Flächen für natürliche Entwicklungsprozesse, Naturerfahrungsräume sowie naturnahe Bereiche im Umfeld von Verkehrsflächen (…) sind zu erhalten und dort, wo sie nicht in ausreichendem Maße und hinreichender Qualität vorhanden sind, [sogar] neu zu schaffen oder zu entwickeln.”
Und ganz zum Schluss: Wenn Ersatz für den Spreehafenwald oder etwa für das Diekmoor in 50 Kilometer Entfernung geleistet werden soll, kann man dazu nur sagen: „Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode“. Diese Wahnsinns-Methode gilt es infrage zu stellen.

Andromeda v. Prondzinski: 3½ kurze Gedanken zum Bebauen innerstädtischer Spontanwälder wie dem Wilden Wald

Wie schön wäre es, dem Grundsatz des Naturschutzgesetzes hier einmal zu folgen. Nämlich das, was natürlich erwachsen ist, einfach zu erhalten. Den vielen „Benefit“, den die Natur hier kostenlos vorhält, wertzuschätzen. Einmal nicht die große Zerstören-und-andernorts-wieder-zu-reparieren-versuchen-Maschinerie anzuwerfen – die in der Sache doch so wenig funktioniert. In Anbetracht der ca. 10 aktuellen Bebauungsverfahren ergäbe der Verzicht auf Wilhelmsburg 102 immernoch 90%igen Betonierungserfolg im Stadtteil.

In Anbetracht der Verpflichtung der Bezirke, je 1ha „Klimawald“ neu anzupflanzen (also eher irgendwelche Baumschulware irgendwo in den Boden zu stopfen) ist die fast 10fache Vernichtung naturoptimierten Waldes absolut irrsinnig. Hier passt gleich auch noch ein weiteres zeitloses Shakespeare-Zitat neben dem schon im Poppendieckschen Artikel übersetzten „Though this be madness, yet there is method in’t“, nämlich: „Where ignorance is bliss, ‚tis folly to be wise“ (ganz frei übersetzt: Wo Nichtwissen angesagt ist, wäre es blöd zu verstehen).

Ein Wort zum so nötigen Wohnungsbau, der hier als Rodungsbegründung herhalten soll: Bekanntlich gibt es einen Mangel an kostengünstigen Wohnungen. Der in Hamburg übliche Neubau-Mix von zwei Dritteln dauerhaft teuren Wohnungen und einem Drittel temporär geförderten Wohnungen löst das Problem sehr unvollständig und nur in einem begrenzten Zeitraum und vor allem zu einem sehr hohen Preis für die Umwelt; denn für jede benötigte Wohnung wird die Stadtlandschaft noch mit zwei zusätzlichen – und größeren! – Wohnungen verfüllt.

Und noch ein Wort zur verantwortlichen Senatorin, Karen Pein: Natürlich gehört persönliche Größe dazu, die zuvor unter eigener Verantwortung gelaufene Planung einer monofokal agierenden städtischen Entwicklungsgesellschaft als nunmehr für das Gesamtwohl der Stadt verantwortliche Senatorin kritisch zu werten. Möglich wäre es.

Janne Ludewig (hat ihre Bachelorarbeit über den Vollhöfner Wald geschrieben)

Natürliche Sukzession seit 1962: Der Wilde Wald ist ein wertvoller natürlicher Lebensraum, der im Laufe der Jahre wichtige ökologische Funktionen entwickelt hat. Dabei handelt es sich um den einzigen Wald im Bezirk Hamburg-Mitte!
• „grüne Insel” (oder auch „grüne Lunge“) zwischen Hafen, Industrie und Wohngebiet 
• Welche Rolle spielt der Wald z. B. bei der Verbesserung der Luftqualität (Schadstoffe aus Luft filtern, Sauerstoffproduktion, …)?
• geplante „waldartige Parkanlage“ ≠ Naturwald!

Auszug aus meiner Bachelorarbeit:

„Im Zeichen der Klimakrise wird der Ruf nach natürlichen Wäldern größer. Sie sind anpassungsfähiger, vollbringen existenzielle Ökosystemleistungen, wie CO2-Speicherung, Sicherung der Artenvielfalt oder Luftfilterung, und können Vorbild für die naturnahe Bewirtschaftung von Wirtschaftswäldern sein. Die Vegetation des Vollhöfner Waldes zeichnete sich nicht durch eine hohe Artenvielfalt aus. Dort ist vielmehr die großflächige, von Menschen unberührte Wildheit von Bedeutung. Das ist in Hamburg einzigartig und muss geschützt werden.
• Dies lässt sich ebenso auf den Wilden Wald anwenden!
• Es zeigt die Wichtigkeit des Naturschutzes und der Erhaltung natürlicher Lebensräume in städtischen Gebieten

Die Abholzung eines neun Hektar großen Waldes, der über 60 Jahre natürlich gewachsen ist und weiterwachsen wird, hat erhebliche ökologische Auswirkungen und kann nicht einfach vollständig kompensiert werden. Der Wilde Wald hat sich im Laufe der Zeit zu einem komplexen Ökosystem entwickelt, welches eine Vielzahl von Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen und ökologischen Prozessen umfasst. Das Roden eines solchen Waldes kann und wird zu irreversiblen Veränderungen der Umwelt führen.
• es ist wichtig verbleibende natürliche Flächen und Ökosysteme zu schützen, um die Biodiversität und ökologischen Funktionen in der Region zu erhalten.

Die Umsetzung des Bebauungsplans wird zu einer weitgehenden Beseitigung des Waldes führen. 62 % der Vegetationsflächen im Plangebiet werden auf 19 % reduziert. Geplante Ausgleichsflächen in verschiedenen Landkreisen können nicht die Bedeutung eines bestehenden, komplexen Ökosystems für Flora und Fauna, besonders in isolierter Lage, umfassen. Mehrere kleine Ersatzflächen können zwar einige ökologische Vorteile bieten, die Kompensation durch mehrere kleine Teilflächen in verschiedenen Landkreisen kann jedoch nicht gleichbedeutend sein mit der Erhaltung eines bestehenden Waldes, der einzigartig für einen ganzen Bezirk ist
• viele Arten möglicherweise nicht in der Lage, sich an neue Lebensräume anzupassen oder zu wandern
• Fragmentierung in Wilhelmsburg wird verstärkt  Beeinträchtigung der Fähigkeit von Arten sich zu bewegen und genetisches Material auszutauschen
• ästhetischer Verlust

Bei den Waldbiotoptypen handelt es sich um spontan entstandene Pionier- und Vorwälder, welche ungestört und natürlich aufgewachsen sind. Diese sind gemäß der Biotopkartierung Hamburg als “wertvolle” Biotope eingestuft. Die Entwicklung eines natürlichen Waldes benötigt viel Zeit, hier konnte er sich schon etablieren.
• weitere und schnellere Entwicklung möglich
• verschiedene Ökosystemdienstleistungen wie CO2-Speicherung, Wasserrückhaltung, Temperaturregulierung oder auch Bestäubung
• natürliche ökologische Prozesse wie die Ausbreitung von Samen, die Wanderung von Tieren und Sukzession
• hoher Totholzanteil führt zu Strukturreichtum
• kontinuierlicher Lebensraum für Tiere und Pflanzen

Die Versiegelung des Plangebiets zu 76 % wird zum Verlust von wertvollen Böden, wie zum Beispiel natürlich aufgewachsenem Klei, führen. Das hat nicht nur ökologische, sondern kann auch ökonomische und soziale Konsequenzen haben.
• Beeinträchtigung der Ökosystemdienstleistungen (z. B. Wasserspeicher, Klimaregulierung)
• Störung des Wasserkreislaufes, da versiegelte Flächen zu erhöhtem Oberflächenabfluss führen können, der wiederum zu Überschwemmungen und Verschmutzung von Gewässern führen kann
• mögliche Kosten für Hochwasserschutz oder Bodenerosionen

Der Wilde Wald hat ebenfalls eine hohe klimatische Bedeutung. Die Wärmebelastung am Tage ist gering und er wirkt als Kaltluftentstehungsgebiet. Der Verlust dieses intakten Ökosystems wird daher klimatische Konsequenzen haben.
• Temperaturerhöhung und Wärmeinsel-Effekt
• Biodiversitätsverlust (Anpassungsfähigkeit der Arten an neue klimatische Gegebenheiten)
• Erhöhung von Oberflächentemperaturen und Freisetzung von CO2 können den Klimawandel verstärken

Allgemeine Punkte, die für den Erhalt des Wilden Waldes sprechen:
• einzigartiges Ökosystem: natürliche Sukzession ohne menschlichen Einfluss
• der einzige Wald in Hamburg-Mitte! (und dann noch natürlich gewachsen)
• Wälder mit urwaldähnlichem Charakter sind heute selten, der Anteil an unbewirtschafteten Wäldern (Naturwäldern) liegt in Deutschland bei 3 %
• Sukzessionswälder haben eine hohe Wertigkeit!
• Biodiversität: während der natürlichen Waldentwicklung, bieten verschiedene Sukzessionsstadien unterschiedlichen Pflanzen und Tieren Lebensräume. Diese Vielfalt kann langfristig zur Erhaltung seltener oder gefährdeter Arten beitragen!
• unbewirtschaftete Wälder sind Orte, in denen natürliche Prozesse wie Sukzession, natürliche Regeneration oder Nährstoffkreisläufe ablaufen, die für die Aufrechterhaltung der ökologischen Stabilität wichtig sind
• Forschung und Bildung: einzigartige Gelegenheit für wissenschaftliche Forschung, um die Entwicklung von Ökosystemen, die Dynamik der Pflanzensukzession und die Interaktion zwischen Arten zu verstehen  kann ein wertvoller Ort für Bildung und Umweltbewusstsein sein
• selbst wenn neue Bäume auf den geplanten Ausgleichsflächen gepflanzt werden, ist es schwer, die ursprüngliche Komplexität und Funktionalität des bestehenden Waldes zu replizieren
• Wälder sind in der Lage, natürliche Prozesse wie Nährstoffkreisläufe, Wasserrückhaltung und Bodenbildung aufrechtzuerhalten  diese ökologischen Funktionen könnten auf den Ausgleichsflächen nicht sofort erreicht werden
• Klimarelevanz: ein etablierter Wald bindet über die Zeit eine erhebliche Menge an Kohlenstoff, trägt zur Regulierung des Klimas bei und ist ebenfalls anpassungsfähiger gegenüber klimatischen Veränderungen
• ist Erholungsraum, Lernumgebung oder Ort für Naturbeobachtungen, was noch weiter ausgebaut warden kann
• die Nähe zur Natur, wie sie der bestehende Wald bietet, hat einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität der Menschen
• langfristige Investition in die Nachhaltigkeit

Birgit Treuten: Der Wilde Wald in Wilhelmsburg

ist von selbst entstanden, sozusagen frei, nicht durch den Menschen kontrolliert. Er muss keine (Biodiversitäts-)Dienstleistungen für den Menschen übernehmen, aber dennoch sichert er das Überleben der Menschen auf dem Planeten Erde. Der wilde Wald hat ein Recht an sich, bestehen zu bleiben. Er ist nicht dazu da, Bedürfnisse des Menschen zu erfüllen (aber er tut es dennoch).

Viele Staaten haben kürzlich unterzeichnet, dass bis 2030 30 % der Land- und Wasserflächen unter Schutz gestellt sein müssen. Hamburg hat jetzt, d. h. nicht einmal mehr sieben Jahre vorher, erst knapp 10 % erreicht – bundesweit ist das ein guter Wert. Wenn dieser Wald nicht bestehen bleiben darf, wie soll Hamburg die 30 % bis 2030 erreichen können?

Auf der Klimakonferenz in Glasgow haben die meisten Staaten der Erde sich vorgenommen, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen.

Bis 2020 sollten 2 % Wildnis erreicht werden und in der Realität waren es nur 0,6 %. Wie hoch ist der Wildnisanteil in Hamburg?

Alte Bäume und zusammenhängende Lebensräume können nicht so einfach und schnell genug für unsere jetzige Situation ersetzt werden. Masanobo Fukuoka stellte bereits fest, „die Wüstenbildung ist nicht auf das Ausbleiben des Regens zurückzuführen, sondern der Regen bleibt aus, weil die Vegetation verschwunden ist.“ Wälder haben eine wichtige Funktion, um das Wasser (sprich die Möglichkeit, dass es regnen könnte) über ihren Baumkronen vom Meer ins Landesinnere zu transportieren. Sie dürfen daher nicht unterbrochen werden, damit das Wasser ins Landesinnere gelangen kann.

Weiterhin liegt wohl auch eine mangelnde Wertschätzung von Wildnis vor, wenn dieser Wald gefällt bzw. verkleinert werden soll. Hier nur zwei Zitate aus „Mehr Wildnis wagen“ von Michael Altmoos: „ein kostbares Heiligtum“ nannte es ein Junge. Albert Einstein soll gesagt haben „Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle.“, also z. B. auch die Wildnis.

Hier sollen 1.100 neue Wohnungen gebaut werden, obwohl in der Innenstadt diverse Kaufhäuser und Büroflächen leer stehen, sodass der Bezirk Mitte seine „Wohnungs“bau“pflichten“ hier leicht erfüllen könnte. Statistisch gesehen ist die Wohnungsanzahl stärker gestiegen als die Bevölkerung. Und auch die Wohnfläche ist von 35 qm/Person im Jahr 1991 auf aktuell 48 qm/Person gestiegen.

In Fachexpertengesprächen wird bereits eine Änderung der Baugesetzgebung erarbeiten, die Ende August 2023 vorgelegt werden soll. Es geht um Klimaanpassung, wassersensible Stadt und städtebaulichem Handlungsbedarf in Folge von Katastrophen (z.B. Ahrtal). Von diesen Themen ist in der Planung einen wilden Wald zu fällen, um dort Wohnungen zu bauen, obwohl nicht weit entfernt viele große Häuser leer stehen, nicht viel zu spüren.

Inselrundblick, Lokalpresse Wilhelmsburg: https://inselrundblick.de/aktuell/wilder-wald-protest-spreehafenviertel-mahnwache-mitmachen/

Zurück