Wie man gutwillige Naturgärtnerinnen und -gärtner für dumm verkauft

Es stand vor ein paar Wochen in der Süddeutschen Zeitung. „Balkone und Gärten können wichtige Refugien für bedrohte Pflanzen sein, sagt Ingmar Staude. Der Botaniker von der Universität Leipzig ist überzeugt, dass das gezielte Anpflanzen bedrohter Pflanzenarten auf privaten Grundstücken helfen könnte, die Biodiversitätskrise in Deutschland und anderswo abzufedern. Diese Artenschutz-Methode, bei der jeder und jede mitmachen kann, hat auch schon einen offiziellen Namen: „Conservation Gardening.“ Und weiter: „In Hamburg beispielsweise sind 352 von 670 gefährdeten Arten geeignet, darunter die Rundblättrige Glockenblume, das Echte Labkraut und das Gemeine Leimkraut. Alle drei stehen in Hamburg in Kategorie drei der Roten Liste (gefährdet) und kosten unter vier Euro pro Pflanze.“

Als Mitautor der Roten Listen von Hamburg ließ mich das aufhorchen. Ich wollte mich nicht auf die Pressemeldungen verlassen und habe mir daraufhin den Original-Artikel angesehen, auf den sich diese Aussagen gründen. Er ist in der hoch renommierten Zeitschrift Scientific Reports publiziert worden. Unter den Autoren befinden sich prominente Vertreter der deutschen Naturgarten-Szene. Bei der Lektüre blieb mir die Spucke weg.

Sagen wir es offen: Die vollmundigen Versprechungen zur Lösung der Biodiversitätskrise sind Humbug. Und zwar deswegen, weil die Autoren völlig unkritisch Wildpflanzen an ihren spontanen Standort gleichgesetzt haben mit Kulturpflanzen, die von Gärtnerinnen und Gärtnern im Garten oder auf dem Balkon gepflegt werden. Bei den Roten Listen geht es um den Zustand von Populationen, nämlich von „lebensfähigen Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen“, wie es im § 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG)  heißt. Das schließt Kulturpflanzen kategorisch aus. Es mögen noch so viele Exemplare gefährdeter Arten in Gärten und auf Balkons gehegt und gepflegt werden – für die Roten Listen ist das völlig ohne Belang, denn diese kultivierten Vorkommen können und dürfen nicht in die Bewertungen einbezogen werden. Die Autoren verwenden Daten der Roten Listen, aber haben keine Ahnung von Naturschutzbiologie (Conservation Biology). Die gesamte Argumentation des Artikels ist hinfällig.

Mit einer geradezu grotesk überzogenen Graphik wollen uns die Autoren von den positiven Folgen des „Conservation Gardenings“ überzeugen. Sie ist für alle, die sich ernsthaft mit Roten Listen und dem Schutz gefährdeter Wildpflanzen beschäftigen, ein einziges Ärgernis (siehe unten).

 

 

Die angebliche Bedeutung des „Conservation Gardening“.
Diese Grafik soll den geneigten Leser und die geneigte Leserin von der Bedeutung des „Conservation Gardening“ überzeugen. Wenn mehr Menschen in Deutschland gefährdete Arten in ihren Gärten und auf ihren Balkons kultivieren würden, würde nach Ansicht der Autoren der Anteil der Rote-Liste-Arten rapide sinken, in Hamburg beispielsweise von über 50 Prozent (dunkelrot) auf unter dreißig Prozent (hellgelb). Verblüffend einfach? Oder Unsinn mit Methode?

Zugegeben: Einiges ist brauchbar. Man hat zwei Pflanzenarten-Datenbanken miteinander verschnitten, die bei Naturgärtnern geschätzte NaturaDB und die Rote-Liste-Datenbank des Bundesamtes für Naturschutz. Als Ergebnis kann man sich für jedes Bundesland eine Aufstellung derjenigen Pflanzen herunterladen, die ausweislich der Roten Listen gefährdet und zugleich im Pflanzenhandel erhältlich sind. Das ist nicht allzu innovativ, aber solide und nützliche Arbeit, und als solche durchaus positiv zu würdigen.

Was mich erschreckt hat, sind die Einblicke in heutigen Praktiken der Wissenschaftskommunikation.

Scientific Reports hat einen sogenannten Impact Faktor von 4,6 und gehört damit zu den fünf internationalen Journalen, die weltweit am häufigsten zitiert werden. Hier zu publizieren ist außerordentlich förderlich für die Karriere von Nachwuchswissenschaftlern. Man brüstet sich damit, dass alle hier veröffentlichten Forschungsergebnisse wissenschaftlich fundiert, originell und von höchster Qualität sind. Eine Selbstaussage, die anhand des vorliegenden Artikels schwer nachvollziehbar ist. Mir ist unerklärlich, wieso den hochkarätigen Fachgutachtern der gravierende grundlegende Fehler entgangen ist, der in der Gleichsetzung von Wildpflanzen der Roten Listen mit in Gärten kultivierten Pflanzen liegt. Der Unterschied also zwischen in-situ und ex-situ, zwischen „wildlife“ und „horticulture“.

Das geldgebende Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung und die Stabsstelle für Wissenschaftskommunikation der Universität Leipzig bringen die Nachricht am 4. September auf den Homepages: „Conservation gardening: Green spaces in Germany could contribute far more to biodiversity conservation.” Scientific Reports legt über das Public-Relations-Portal Eureka nach: „Biodiversity: Gardens could be an Eden for vulnerable plants”. Und jetzt rollt die Wissenschafts-Vermarktungsmaschine an:

  • „Conservation Gardening: Wie Gärtner einen echten Beitrag zum Artenerhalt leisten können“, Leipziger Zeitung 05.09.2023
  • „Want to help conserve plants in your garden? There’s an app for that.” Botany One 06.09.2023
  • „Uni Leipzig: Zahlreiche vom Aussterben bedrohte Pflanzen könnten in Gärten überleben“, MDR 08.09.2023
  • „Arten retten leicht gemacht“, Süddeutsche Zeitung 12.09.2023
  • „Viele bedrohte Pflanzen könnten in Gärten gerettet werden“, TAZ 23.-29. 09.2023.
    Bei der TAZ hat man sich einen köstlichen Freudschen Verschreiber geleistet: „Conversation Gardening“ anstatt von wie es richtig heißen müsste „Conservation Gardening“.
  • „Gärtnern für Artenreichtum“, Süddeutsche Zeitung 9.10.2023

Dass die Kultur von heimischen Pflanzen in Gärten gut und sinnvoll und wichtig ist, ist ja völlig unumstritten. Aber es ist kein guter Weg, den Naturgärtnerinnen und –gärtnern falsche Erkenntnisse zum Wildpflanzen-Artenschutz einreden zu wollen. Die Naturgärtnerei ist auf einem guten Kurs und hat es nicht nötig, unter dieser falschen Flagge zu segeln.

Hans-Helmut Poppendieck, 01.November 2023

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