Eine gute Nachricht: Schülerinnen und Schüler haben sich für die Umwelt engagiert und Geld gesammelt, um vorsorglich eine junge Eichen neben die alte hohle Eiche im Herbstschen Park in Groß-Borstel zu pflanzen. Lassen wir dazu die alte Eiche selbst zu Wort kommen.

„Das ist nett von Euch, Kinder, dass Ihr an mich alte Eiche denkt und mir einen jungen Kollegen zur Seite stellen wollt. Darüber habe ich mich gefreut. Wenn Ihr mir dabei einen Gefallen tun wollt: Bleibt mit der jungen Eichen ein bisschen auf Abstand. Also dass Ihr mir für das Pflanzloch auf keinen Fall meine Wurzeln kaputt macht! Mit unseren Wurzeln sind wir alten Bäume nämlich ein bisschen eigen. Außerdem wird der junge Kollege ja wachsen und mit der Zeit größer werden und mich eventuell sogar in den Schatten stellen, wenn er zu dicht bei mir steht. Das mögen wir Bäume nun aber auch nicht, und schon gar nicht wir Eichen, denn wir gehören ja zu den Lichtholzarten.Die anderen Bäume, die um mich rumstehen, bedrängen mich schon genug.

Und vor allem müsst ihr eines wissen: Ich bin noch lange nicht tot und denke überhaupt nicht daran, bald abzutreten. Schaut Euch doch mal meine Äste und mein Laub an. Da ist doch alles im grünen Bereich. Sicher, ich war früher mal krank, sonst wäre ich ja nicht hohl. Ich hatte ein Bakterium oder irgendeinen Pilz – wir Eichen können ganz viele verschiedene Pilze haben – und das hat lange Jahre mein Kernholz zerfressen. Angenehm war das nicht, aber irgendwann war Schluss und ich war innen ganz leer – na und? Ich habe dann mal einen Baumphysiker gefragt, und der hat mir Mut gemacht und mir gesagt, dass Hohlsein auch seine guten Seiten haben kann. Schaut mal: Ein hohler Stamm ist nämlich viel biegsamer als ein massiver, und hat seine Vorteile, wenn der Sturm an Deiner Baumkrone rüttelt und Dich umwerfen will. Biegen statt brechen heißt dann die Parole. Wenn wir Eichen solche Tricks nicht drauf hätten, würden wir nicht so alt werden.

Meine Spitze wurde gekappt

 

Nach dieser Krankheit sind dann wohl ein paar von meinen dicken Ästen abgestorben. Da sage ich – na und? Das ist bei uns Eichen normal. Wir schmeißen ständig junge und auch ältere Zweige ab, und wenn ein starker Ast mal nicht mehr so gut drauf ist und sein Blattwerk nicht mehr tragen oder nicht mehr versorgen kann, oder vielleicht auch eine Pilzkrankheit hat, dann legen wir ihn still, machen seine Leitungsbahnen dicht, er vertrocknet, und wir machen einen neuen Ast, der später seine Stelle einnehmen wird. Bis das soweit ist, kann es schon mal hundert Jahre dauern – na und? Ist für uns Eichen doch gar kein Zeitraum.

Wenn der Ast tot ist, wird es spannend. Dann kommen nämlich die Käfer und all die anderen Insekten und legen ihre Eier auf mir ab, und ihre Kinder fressen sich durch mein altes morsches Holz, es kommen Baumschwämme und andere Pilze, die den alten Ast nach und nach zerlegen. Ganz wunderbar, was sich in meinem toten Holz alles tut. Ihr Menschen habt dafür glaube ich ein neues Modewort gefunden: Biodiversität. Und einen schönen Spruch dazu habe ich auch gelesen: Totes Holz schafft lebende Wälder.“

Hohle Eiche im Jenischpark

Viele berühmte Maler, darunter ein gewisser Caspar David Friedrich, haben Eichen mit toten Ästen gemalt. Lebende Eichen mit toten Ästen sind nämlich der Normalfall. Wenn Ihr mal mit offenen Augen durch Ostholstein wandert, werdet ihr überall Eichen mit toten Ästen finden. Aber nicht in der Stadt. Ihr Stadtmenschen kennt keine Eichen mit totem Holz, und das liegt an den Gartenämtern und an den Rechtsanwälten – oder wie man sagt, an der Rechtslage. Wenn nämlich solch ein toter Ast mal auf ein Auto oder jemandem auf den Kopf fällt, dann ist derjenige dran, auf dessen Grundstück der Baum steht. Für Bäume auf öffentlichem Grund ist der Gartenamtsleiter verantwortlich. Der kann dann vor Gericht verklagt werden und muss Schadenersatz bezahlen, und das kann teuer werden.

Und das ist wahrscheinlich der Grund, warum man mich so vor Jahren grauenhaft verstümmelt hat. Ich werde wohl den einen oder anderen morschen Ast gehabt haben. Damals ging man ziemlich rabiat mit alten Bäumen um, und diese Barbaren haben meine ganze Baumkrone gekappt, Vielleicht haben sie gehofft, dass ich dabei ganz draufgehe. Aber ich habe ihnen was gehustet. Das wollen wir doch mal sehen, habe ich mir gedacht, und ich habe ganz viele dicke, starke und gesunde Äste genau dort gemacht, wo die Herren „Baumchirurgen“ mir diese großen Wunden geschlagen haben. Und daran könnt Ihr sehen: Ich bin wieder voll da. Still alive and kicking.

Kattholzeiche in Perdöl Sommer 2018

Hohle Bäume wie ich können gut noch ein, zwei Jahrhunderte drauflegen, wenn – und das ist allerdings wichtig – wenn man uns in Ruhe lässt. Geht mal in den Jenischpark und kuckt Euch die beiden hohlen Eichen dort an. Stehen beide da wie eine eins. Wie es in einem alten Lied heißt: Sturmfest und erdverwachsen. Solche Bäum sind das, auch wenn sie hohl sind. Und das gilt auch für die Kattholzeiche in Perdöl im Kreis Plön, die in ganz Schleswig-Holstein berühmt ist. Auch die ist schon seit ganz vielen Jahren hohl und für ihr Alter immer noch gut drauf und gesund. So gesund, dass immer mal wieder ein paar Rüpel raufklettern, um sich photographieren zu lassen. Das muss nun wirklich nicht sein.

Also: Ich bin nicht todkrank. Okay, ich bin alt, aber ich will noch viel älter werden. Ich habe einen Bekannten im Pinnbergischen, der uns alten Bäumen immer mal wieder hilft, und dessen Motto ist: Lasst Bäume alt werden.“

Hans-Helmut Poppendieck, 8. September 2018

Alle Photos © Poppendieck

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