Die alten Hof- und Herrschaftsgärtner wussten genau, wo sie in ihren Parks frühblühende Zwiebelgewächse ansiedeln konnten. Für Krokusse, Winterlinge, Milchsterne oder Scillas gibt es nur einen wirklich gut geeigneten Lebensbereich, und das ist die Kronentraufe alter Bäume. Und eben gerade nicht das Waldinnere oder die offenen Wiesen oder Rasen. Warum das so ist, konnte man im trockenen Sommer 2018 gut erkennen. Unter der Traufe der Eschen im Alstervorland war der Rasen völlig braun und vertrocknet, während er daneben in der Fläche noch grün war. Dieses Phänomen war auch an vielen anderen Stellen zu beobachten. Was lehrt es uns?

Es zeigt, dass unter der Kronentraufe ganz spezifische Konkurrenzverhältnisse zwischen Baum und Rasen (oder Wiese) herrschen, in denen Zwiebelgewächse eine geradezu ideale räumliche und zeitliche Nische finden können. Im Sommer beschattet der Baum den Rasen und hemmt dadurch die Assimilation und die Wuchskraft der Gräser. Außerdem ziehen die bodennahen Feinwurzeln Feuchtigkeit an sich und trocknen das Substrat aus. Die Folgen für den Rasen sind weiterer Stress und eine lückige Grasnarbe. Die Folgen für die Kleinzwiebeln: Sie können gut abtrocknen. Viele stammen aus mediterranen Gebieten mit trockenen Sommern und neigen in feuchten Böden zum Faulen. Außerdem keimen Samen der Frühblüher in den Rasenlücken leichter aus als im dichten Rasen, wo sie zu stark beschattet werden. Durch den Laubfall im Herbst wird der Rasen zunächst abgedeckt und damit weiter geschwächt. Die alten Parkgärtner haben sich davor gehütet, hier das Laub zu früh weg zu harken. Sinnvoll ist, es bis zum Frühjahr liegen zu lassen. Die herbstliche Bodenfeuchte bringt die Zwiebelgewächse dazu, ihre Wurzeln noch vor Beginn des Winters auszutreiben. Dann ist erst einmal Pause. Im Frühjahr gibt es ausreichend Licht und Wärme, und die Krokusse, Scillas und Winterlinge nutzen die zeitliche Nische bis dem Austreiben der Bäume aus, um ihr Laub zu entwickeln, zu blühen und ihre Samen zu reifen und zu verstreuen, oft auch schon um die ersten Keimlinge zu bilden. Wenn die Kleinzwiebeln das Laub komplett eingezogen haben, kann gemäht werden. Dann beginnt das Spiel von neuem.

Die Bilder zeigen ein paar Beispiele. Bei der Eiche aus Jersbek handelt es sich um den gleichen Baum, den ich jeweils von unterschiedlichen Stellen aus fotografiert habe: Im Jahre 1980 mit meiner Tochter und dann 2009 mit meinen Enkeln. Der Bereich der Kronentraufe wird hier vom gelb blühenden Scharbockskraut markiert. Es zeigt, dass es sich um einen Lebensraum mit langjähriger Kontinuität und Stabilität handelt.

Bleibt noch zu sagen, dass das Ansiedeln von Kleinzwiebeln im Park keineswegs einfach ist. Bevor man sich daran wagt, sollte man sich in der älteren Staudenliteratur schlau machen. Probepflanzungen und sorgfältige Beobachtungen sind nötig, um die wirklich geeigneten Stellen herauszufinden. Aber das ist ein sehr weites Feld.

Die Kronentraufe ist ein Beispiel für einen wertvollen Parklebensraum, der mit dem Hamburger Biotopschlüssel nicht leicht zu erfassen ist, bestenfalls als HE Einzelbaum oder Baumgruppe. Als Grundlage für Pflege- und Entwicklungspläne sollte daher möglichst eine kleinteiligere Erfassung der Parklebensräume erfolgen und dabei gerade auf Schlüsselstrukturen wie die Kronentraufe Wert gelegt werden.

Literaturhinweis:

Ambrozy-Migazzi, Istvan Graf: Stauden zum Verwildern. S. 58-72, In: Ernst Graf Silva-Tarouca und Camillo Schneider: Unsere Freiland-Stauden. Wien/Leipzig 1922. Immer noch die beste Anleitung ihrer Art, und pures Lesevergnügen. Das Buch steht in der Staatsbibliothek und in der Bibliothek des Botanischen Gartens in Klein-Flottbek.

Hans-Helmut Poppendieck, 05. Mai 2021

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