Auf nach Lauenburg zur ersten Wanderführer-Exkursion!

Der Winterling läutet bei uns die Ankunft des Frühlings ein. Deswegen geht für viele Hamburger Botaniker seit langem die erste botanische Exkursion eines jeden Jahres zu den berühmten Lauenburger Winterlingen. Man sollte sich dafür das richtige Wetter aussuchen: Sonnig und hell, blauer Himmel, an geschützten Stellen schon ein wenig warm. Hundert Meter westlich vom Parkplatz Parkplatzes Fürstengarten hat die Stadtverwaltung eine Tafel zu „Historischen Zierpflanzen“ aufgestellt, von denen ein halbes Dutzend abgebildet sind. Südlich davon  finden wir dann am Steilhang unter schütterem Gehölz und in reiner Südlage die weiten gelben Teppiche.

Blüten als Hohlspiegel und Wärmestuben

Der Winterling Eranthis hyemalis bietet den frühen Blütenbesuchern das, was sie gerade am nötigsten brauchen: Nektar, Pollen und wohlige Wärme. Nektar wird in Honigblättern (Staminodien) angeboten, kleinen aufrechten Krügen, wie wir sie auch in der Gattung Helleborus (Nieswurz) kennen.

Pollen wird massenhaft produziert und dient als Nahrung für den Insekten-Nachwuchs. Wohlige Wärme bieten die schalenförmigen Blüten. Sie wirken als eine Art Hohlspiegel, wobei die glänzenden Blütenblätter das einfallende Sonnenlicht reflektieren und  es im Zentrum der Blüte konzentrieren, das sich dadurch gegenüber der Umgebung erwärmt. In den Alpen ist dieser Blütentyp wegen der vorherrschenden niedrigen Temperatur besonders vorteilhaft, und dort haben Forscher Temperaturunterschiede zur Umgebung gemessen, die zwischen 2,0°C und 6,2°C lagen. Und beim Berg-Hahnenfuß Ranunculus montanus, einem Hahnenfußgewächs wie unser Winterling, wurden die der Sonne zugewandten „warmen“ Blüten häufiger und länger von Bestäubern aufgesucht, als die „kalten“ Blüten im Schatten, bei denen keine solche Erwärmung stattfand. Winterlingsblüten bilden also „Wärmestuben“ für frühe Insekten, und genau das macht ihre Attraktivität für jetzt umherstreifende Schwebfliegen, Bienen oder Hummeln aus. Und sichert den Bestäubungserfolg.

Regenballisten und Kaltkeimer

Auch die  Ausbreitungsbiologie des Winterlings ist spannend. Die aufrecht stehenden Fruchtkapseln werden als „Bälge“ bezeichnet. Ihre Samen sind in der Regel reif Anfang Mai, wenn im Fürstengarten die Wildtulpen und Milchsterne blühen und es deswegen wieder einen Besuch lohnt. Sie fallen einfach heraus, oder werden  durch den Wind ausgeschüttelt; oder sie können durch Regen ausgeschwemmt oder aktiv ausgeschleudert werden: Wenn die Wucht eines Regentropfens die Balgfrucht umgebogen hat, werden beim Zurückschnellen die Samen weggeschleudert. Man spricht hier von „Regenballisten“. Darüber hinaus spielen auch Ameisen beim Verschleppen der Samen eine wichtige Rolle, obwohl diese gar keine eigentlichen Futterkörper (Elaisosomen) haben. Wahrscheinlich knabbern sie an der saftigen Samenschale, die später einschrumpft Die frischen Samen sind viermal so schwer wie die trockenen.  Der Winterling zählt zu den Kaltkeimern. Seine Samen brauchen einen Kältereiz, um nach dem Quellen der Samenschale keimen zu können, und den erhalten sie durch tiefe Wintertemperaturen im Freiland oder in der Saatschale. Oder im Kühlschrank des Gärtners. Durch diesen Mechanismus wird das Auskeimen im Frühjahr sichergestellt, denn bei der Herbstkeimung würden die Jungpflanzen den ungünstigen Winter nicht überstehen.

Ein historisches Pflanzenvorkommen

Zur Zeit der Entstehung um 1667 muss der Fürstengarten prachtvoll gewesen sein, aber danach ging es bergab, und er fiel für dreihundert Jahre einer malerischen Verwilderung anheim. Ob die verwilderten Zierpflanzen noch aus dem 17. Jahrhundert stammen oder spätere Einführungen sind, ist schwer zu sagen. Erstmals nachgewiesen ist der Winterling von hier durch Herbarexemplare des schleswig-holsteinischen Botanikern Ernst Ferdinand Nolte (1791-1875) aus den 1820er Jahren. Damit zählt er zu den ältesten dokumentierten Pflanzenvorkommen in Schleswig-Holstein und Hamburg. Inzwischen sind Winterlinge ja in vielen Parks und Gärten zu finden.

Das gefüllte Schneeglöckchen

Galanthus nivalis ‘Flore Pleno‘ ist eine weitere Spezialität des Fürstengartens, es kommt am Hang südwestlich der Informationstafel in großer Menge vor. Solche Verwilderungen der gefüllten Form sind selten, denn sie können nicht über Samen zustande gekommen sein, sondern nur über vegetative Vermehrung durch Seitenzwiebeln. Vermutlich ist dieses Vorkommen schon ziemlich alt, aber Genaueres ist nicht bekannt.

Die Stinkende Nieswurz

Helleborus foetidus dagegen wurde ebenfalls bereits von Nolte von hier dokumentiert. Zuletzt habe ich sie am Hang beim Hinterhof des Theaters an der Elbstraße gesehen. Das war im Februar 2021 und damit genau 200 Jahre nach dem Erstnachweis durch Ernst Ferdinand Nolte.

Hans-Helmut Poppendieck, 6. Februar 2023

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