Die müssen Sie sich ansehen! Mit ein wenig Glück, und wenn es nicht zu schnell warm wird, hält die Blütenpracht noch ein paar Tage und vielleicht noch ein wenig länger. Um den 1. April herum blühen jedes Jahr die Wildnarzissen im Alten Botanischen Garten.

Was ist das Besondere? Das Verwildern von Narzissen ist eine schwierige Sache, und das gilt für Wildarten und Zuchtformen gleichermaßen. Fast alle Narzissenwiesen im öffentlichen Grün sind durch Pflanzung – heute meist maschinell – und vegetative Vermehrung über Tochterzwiebeln entstanden. Parks und Gärten, in denen sich die einheimische Wildnarzissen Narcissus pseudonarcissus durch Samen vermehren, sind extrem selten. Außer den Hamburger Narzissen und der berühmten Narzissenverwilderung im Schlosspark Herten in Westfalen sind mir keine weiteren Beispiele bekannt.

Wie lange gibt es diese Verwilderung schon? Frühere Gärtner des Botanischen Gartens haben mir erzählt, dass es sie schon vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben haben muss. Es gibt ein Foto im Gartenführer von 1959, auf dem sie fast genauso aussieht wie heute. Ich selbst kenne sie seit 1970, denn ich musste damals als studentische Hilfskraft Pflanzen für die Bestimmungsübungen im Botanischen Institut sammeln. Dazu musste die Wiese nicht nur Narzissen liefern, sondern auch noch im Mai den Wiesenkerbel und im Juni den Glatthafer. Erst nach der Glatthaferblüte wurde gemäht, damals noch mit der Sense. Das Heu wurde liegen gelassen, trocknete am Hang ab und wurde dann abgerecht. So wurden die Samen verteilt und konnten in der lückigen Grasnarbe auskeimen. Das Laub wurde liegen gelassen. Narzissen sind nährstoffliebend, daher musste gedüngt werden. Damals nahm man dazu Brauereischlempe aus der Astra-Brauerei, ideal geeignet wegen des hohen Kaligehaltes. Heute würde sich stattdessen Vinassekali anbieten. Seit der IGA 1963 gehört der Hang zum Park Planten un Blomen und wird seitdem vom Bezirk Mitte in bewährter Weise weiter gepflegt. Die Kollegen haben sogar begonnen, auf der anderen Seite des Stadtgrabens eine weitere Wildnarzissenwiese zu schaffen.

Was können Naturfreunde und Gartengestalter daraus lernen? Es ist wichtig, naturnahe Narzissenverwilderungen wie in Hamburg oder echte Wildvorkommen wie etwa in der Eifel und den Vogesen aus eigener Anschauung zu kennen. Dann wird einem klar, wie naturfern die heute im Stadtgrün üblichen Pflanzungen von Narzissen und anderen Frühblühern sind. Der Umgang mit Zwiebel- und Knollenpflanzen im öffentlichen Grün ist übrigens ein Thema, das dringend  einer kritischen Aufarbeitung bedarf.

Alte Verwilderungen von Zwiebel-, Rhizom- und Knollengewächsen sind botanische Kulturdenkmäler, für die sich der Begriff Stinzenpflanzen eingebürgert hat. Am berühmtesten sind die Husumer Krokusse, die Wildtulpen am Celler Schloss, die Lauenburger Winterlinge oder die Blausterne auf dem Friedhof Hannover-Linden. Die Narzissen im Alten Botanischen Garten können hier durchaus mithalten, werden aber leider nicht angemessen vermarktet. Überhaupt ist der Alte Botanische Garten neben dem Hohen Elbufer der reichste Stinzenpflanzen-Standort in Hamburg. Verwildert kommen hier außerdem seit vielen Jahren noch Wildtulpe, Kleiner Lerchensporn, Winterling, Elfenkrokus, Herbstzeitlose, Wunderlauch Blausternchen (am Stephansplatz mit weißen Blüten!), Schneestolz und Nickender Milchstern vor.

Ich habe drei Wünsche an die Parkverwaltung von Planten un Blomen. Der erste und wichtigste ist, bitte so weiter zu machen wie bisher. Und möglicherweise die Schätze des Alten Botanischen Gartens ein bisschen mehr herauszustellen. Der zweite ist, die Forsythien und Scillas in der Umgebung der Narzissen maßvoll zu reduzieren, weil deren aufdringliche Blütenfarben den edlen blassgelben Narzissen die Schau stehlen. Und drittens, bei den im Rahmen des Naturschutzgroßprojektes geplanten Umgestaltungsmaßnahmen den Alten Botanischen Garten auszusparen. Hier ist so unglaublich viel wertvolle und vor allem naturnahe Substanz vorhanden, dass jede größere Umgestaltung ein schwerer Rückschritt wäre.

Hans-Helmut Poppendieck, 28. März 2019

Zum Nachlesen:

Ringenberg, J., Poppendieck, H.-H. (1993): Wildtulpe, Nickender Milchstern und andere eingebürgerte Pflanzen im Park Planten un Blomen. Ber. Bot. Verein zu Hamburg 13: 1-13.

Poppendieck, H.-H. (1996): Historische Zierpflanzen in schleswig-holsteinischen Gärten und Parkanlagen. S. 60-74. Stinzenpflanzen in Schleswig-Holstein und Hamburg. S. 676-681. In: v. Buttlar, A., Meyer, M. (Hrsg.): Historische Gärten in Schleswig-Holstein. Heide: Boyens & Co. 1996.

Woerdeman, T. (2018): Tuinieren Met Stinzenplanten. Deel 2. Vreugde van een vroege lente. 160 S. Erhältlich über www.starkezwiebeln.de.

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